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29.05.2021

Jeannot Schwartz

minimalabstand


"Minimalabstand" bezeichnet Jeannot Schwartz eine seiner Greif-Formen. Sie resultiert aus einer Greif-Idee, die er aus vorstrukturiertem plastischem Material zu einer Form verdichtet. Die Choreografie der Verformung bildet "erscheinungstypische Formen" mit direkter Verbindung zur Hand. Sie adressieren an die Hand, müssen also, um den Anteil der Hand nachzuvollziehen, nachgegriffen werden. Im Nachgreifen richtet sich das Handskelett an der Form aus. Das wirkt sich auf die gesamte Haltung des Betrachters aus.



Toni Kleinlercher

maskierungen


Der Ethnograf, der Fotograf abstrahiert das Gelebte. Kriterium der ethnografischen Fotografie ist die Signifikanz der Objekte. Kann das gelingen? Ich habe Zweifel, spiele das Spiel der Kunst. Ich überschreibe Griaules Fotografien, maskiere die Signifikanz seiner Objekte. (Toni Kleinlercher)



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Installationsansicht, Foto © T.K.            



Jeannot Schwartz


minimalabstand


"Minimalabstand" bezeichnet Jeannot Schwartz eine seiner Greif-Formen. Sie resultiert aus einer Greif-Idee, die er aus vorstrukturiertem plastischem Material zu einer Form verdichtet. Die Choreografie der Verformung bildet "erscheinungstypische Formen" mit direkter Verbindung zur Hand. Sie adressieren an die Hand, müssen also, um den Anteil der Hand nachzuvollziehen, nachgegriffen werden. Im Nachgreifen richtet sich das Handskelett an der Form aus. Das wirkt sich auf die gesamte Haltung des Betrachters aus.


Der Raum des Greifbaren befindet sich zwischen Daumen und Finger. Unsere Idee befindet sich am inneren Rand dieses Greifraumes. Sie versucht einen Minimalabstand zwischen Index (Zeigefinger) und Daumen zu etablieren. Zeigefinger und Daumenkuppe dürfen sich dabei nicht berühren. Die größtmögliche Nähe ist ihr Ideal. Mit der Index Fingerkuppe und der Daumenkuppe einen gedachten Raum aufrecht zu erhalten unterliegt Schwankungen. Mehr ein blindes Suchen kommt es einem Wiegen gleich.

Die vorliegende Form bezieht die linke und die rechte Hand ein, befördert damit gezielt eine Berührung, eine Selbstberührung. Durch die Berührung kann eine Unterscheidung zwischen berühren und berührt werden nicht erfolgen (Husserl). Mit der Unentschiedenheit zwischen berühren und berührt werden, wird beides zu Eins. Das Gefühlte so als das eigene Gefühl registriert.

© Jeannot Schwartz 2020



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Jeannot Schwartz, Installationsansicht, Foto © T.K







Toni Kleinlercher


maskierungen

Der Ethnograf, der Fotograf abstrahiert das Gelebte. Kriterium der ethnografischen Fotografie ist die Signifikanz der Objekte. Kann das gelingen? Ich habe Zweifel, spiele das Spiel der Kunst. Ich überschreibe Griaules Fotografien, maskiere die Signifikanz seiner Objekte. (Toni Kleinlercher)

 

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Toni Kleinlercher, Installationsansicht, Foto © T.K.

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Im Maskenland der Dogon, eine Überschreibung

Die Sehnsucht des Ethnografen wirft seine Schatten über afrikanische Reisemitbringsel. Fotografisch sind die Hinterbliebenen längst verstaut. Kartografiert und Kaschiert. Das Expeditionspersonal aufgelistet, bleibt die Ungewissheit, wichtige Daten nicht erwähnt zu haben.

Wer hat die Anwesenden gefragt? Gab es ein Übereinkommen? Ja? Aber waren sich die Anwesenden der Tragweite dieses Deals bewusst? Ich denke nicht. Das ganze Unterfangen eine Abspeisung. Geld oder Leben! Nur im umgekehrten Sinn. Man hat das Leben verkauft, das konnte jedoch mit Geld nicht aufgewogen werden. Es kam nicht zurück. Es begann 1931, vielleicht schon früher. Die Expedition Dakar/Djibouti hat jedenfalls Station gemacht. Damals hat es begonnen, vielleicht schon früher. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wollte man es richtig machen. Der Expeditionsleiter hatte gewiss hehre Absichten. Marcel Griaule wollte nichts Unlauteres. Er wollte es richtig machen. Das glaube ich. Er legte sein koloniales Kuckucksei in das Maskennest, ohne zu wissen, dass ihn das Siriusrätsel bald für Jahre in seinen Bann nehmen wird. Vorher hat er begonnen, die Zerstörung einzuleiten. Das war nicht seine Absicht. Glaube ich. Zuerst hat er den Museen das Material geliefert. Kulturgut natürlich. Sobald es dort war. Michel Leiris hat zugesehen, und sich dabei an seinem ethnografischen Selbstverständnis geweidet, das er im Begriff war auszuloten. Das werfe ich ihm nicht vor. Der Exotismus hatte damals einen anderen Stellenwert als heute. Die Dogon mussten es ausbaden. Sie haben es gründlich getan. Nach einem Vergleich von Levi-Strauss steht speziell der Ethnograf dem Verfall alter Kulturen wie der Astronom den sich von uns entfernenden Sternen gegenüber, deren schwindende Lichtkraft er mit Hilfe von elektronischen Verstärkern auszugleichen sucht, sagt Hans-Jürgen Heinrichs in seinem Buch über Michel Leiris als Künstler und Ethnograf. Welche Ausgleichsmöglichkeit steht den Anwesenden, den sogenannten Indigenen, den alten Kulturen, zur Verfügung? Gibt es letztlich nur Verlierer? Von Auslöschung möchte ich nicht sprechen. Überschreibung, ja. Das auf jeden Fall. Dieses Spiel spielt auch die Kunst immer wieder. Ich spiele dieses Spiel auch. Die Dogon haben ein anderes Spiel gespielt. Sie haben ihre abgetragenen Masken von Termiten zerfressen lassen. In Felslöchern verrotten, verschwinden lassen. Das ist ein wahrlich rigoroses Spiel. Das ist ihr gutes Recht. Finde ich. Darauf hat die Expedition keine Rücksicht genommen. Sie hat sich gebrauchte Masken rechtzeitig beschafft, bevor sie den Weg der ihr vorgesehenen Bestimmung gehen konnten. Nun gibt es diese Masken noch. Die es nicht mehr geben sollte. Ist das auch eine Form von Überschreibung? Ist das legitim? Wo bleibt dabei der Mythos, der im Zusammenhang mit den Dogon für die Ethnologen identisch zu sein schien? Dies nehme ich wahr, jenes nicht. Gilt auch für Fotografien von Masken, von Landschaft und Menschen. Marcel Griaule ist der Fotograf. Eine umfangreiche Sammlung dieser Fotografien befindet sich im Musee de l'Homme in Paris. Der Ethnograf, der Fotograf abstrahiert das Gelebte. Kriterium der ethnografischen Fotografie ist die Signifikanz der Objekte. Kann das gelingen? Ich habe Zweifel. Ich spiele das Spiel der Kunst. Ich überschreibe Griaules Fotografien. Ich maskiere die Signifikanz seiner Objekte. Im wörtlichen Sinn. Lege ich Maskenbilder über seine Fotografien. Es ist wahrscheinlich mehr ein Weiter- als ein Überschreiben. Es ist der Versuch, der exotischen Verabenteuerung jenes fremdartigen rituellen Geschehens, die unwillkürlich passiert, selbst, wenn man es statisch festhält, also fotografisch, selbst, wenn man es unsensationell anlegt, mittels eines quasi tautologischen Verfahrens, derart nahezukommen, dass sich die Frage nach Wahrheit oder Wirklichkeit von selbst aufhebt. Es ist der künstlerische Versuch, sich dem Mythos der Dogon anzunähern, in diesen kleinen Bildtafeln, auf denen auch Textfragmente meines eigenen Expeditionsberichts aus dem Jahr 1991 zu finden sind, nicht Fakten sprechen zu lassen, sondern Bilder zu erzeugen, die, zwar im Kontext gelesen, ein eigenständiges, von der Signifikanz der Objekte unabhängiges Medium, darstellen.

© Toni Kleinlercher 2020




www.toni-kleinlercher.com