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private viewing
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25.09.2021



eric moinat

PRIS AU PIÈGE (in die falle getappt)




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Eric Moinat, Installationsansicht, Foto © T.K
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Eric Moinat, Installationsansicht, Foto
© Eric Moinat

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Eric Moinat, Installationsansicht, Foto
© Eric Moinat

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Eric Moinat, Installationsansicht, Foto
© Eric Moinat

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Sobald ich wusste, wie man Pappmaché herstellt, habe ich angefangen Plastikflaschen damit zu überziehen und so eine Art versteinerte Flaschen zu schaffen, was mir eine Zeit lang Spaß machte. Dann fing ich an, das selbe mit Gemüse zu tun, alles ganz brav in Plastik eingewickelt und mit mehreren Schichten Pappmaché überzogen!

Karotten - Kraut - Rüben- Kohlrabis- Zucchini - Kürbis - Aubergine - Melanzani - Sellerie - Kartoffeln - Süßkartoffeln - Paprika - Chicorée - Salat - Kopfsalat - Tomaten - Rinderherz - Tomate - Zwiebeln - Jungzwiebeln - Knoblauchzehen - Brokkoli - Quitten - Äpfel - Orangen - Zitronen - Kiwi - Zwetschgen .

Was hier wie eine lange Einkaufliste aussieht, ist in Wirklichkeit die Liste aller Früchte und Gemüse, die ich für die Herstellung meiner Pappmâché-Formen verwendet habe. Das hat mir ein ganzes Arsenal an Formen beschert, die ich gerne als "NATUR AUS DEM SUPERMARKT" bezeichnen möchte.

Nun gut, was tun dann, mit all diesen angesammelten Gegenständen? Cornelia (meine Ex-Frau) sagte einmal zu mir: "mit Pappmaché produziert man nur Mist"! Das hat mich ermutigt weiter zu machen, schließlich haben die Alchemisten Blei verwendet, um Gold herzustellen!

Papierkarotten ergeben sehr schöne Pfeile,(um so besser wenn sie sich verdrehen!), mit Zucchini aus Papier konnte ich Flugzeuge und U-Boote bauen, und mit Papier-Melanzani entstanden Raketen, Bomben und Blindgänger. Das Assoziationsspiel hat begonnen, das ist erst der Anfang, ich muss meiner Intuition vertrauen, dass es weitere Verbindungen geben wird. Vielleicht wird es Wunder geben?

Und außerdem kann ich nicht mehr zurück: ich bin schon alt und habe alles auf eine Karte gesetzt!




toni kleinlercher

Ciidae  (MLL Soc 49.213.)


 

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Toni Kleinlercher, Installationsansicht, Foto © T.K.


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oto © Eric Moinat
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Foto © T.K 

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  Toni Kleinlercher, Installationsansicht, Foto © T.K.

Die Schreibweise Ciidae wird erstmals 1857 vom Entomologen Sylvain Auguste de Marseul benutzt. Marseul vermerkt direkt hinter dem Namen Ciidae die Kürzel MLL Soc 49. 213. Nach dem von Marseul selbst erklärten Abkürzungssystem stehen die Kürzel für Mellié in Annales de la Société de France, Jahrgang 1849, S. 213.

Sie sehen hier eine Auswahl meiner Baumschwammsammlung als installative Inszenierung. Es handelt sich in erster Linie um Zunderschwämme.

Ein wesentliches Merkmal aller Schwämme ist deren Zugehörigkeit zu den Saprobionten. Ich hab also keine Schwämme von Bäumen entfernt, die noch nicht Totholz waren.

Was mich in erster Linie an den Baumschwämmen interessiert, ist das Sichtbarmachen des entropischen Vorgangs, der mittels Schwammkäfer (Ciidae) zügig vorangetrieben wird, so dass sich das Zersetzungsmaterial auf den Glastellern bzw. am Boden der Glaszylinder mehr und mehr ansammelt.

Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung, oder das Chaos, in einem abgeschlossenen System. Bei allen natürlich ablaufenden Prozessen nimmt die Entropie stetig zu. Das bedeutet, die Zeit vergeht, weil die Entropie zunimmt. Aber kann die Entropie ewig unbegrenzt zunehmen, oder ist sie beschränkt? Welche Rolle spielen dabei Schwarze Löcher? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Schwarzen Löchern im Universums und den Löchern an der Oberfläche der Schwämme?

Die "schwarzen Löcher" an der Oberfläche der Schwämme lassen ein weitverzweigtes Gangsystem im Innern erahnen. Die Löcher sind Anfang oder Ende eines Systems, das sich einer Offenbarung verschließt, ebenso das rhizomatische Geflecht von Myzelen der Schwämme.

Diesem nicht definierbaren System versuche ich mich durch die zu den Schwämmen gehängten Zeichnungen anzunähern und damit zu einer gewissen Sichtbarkeit zu verhelfen.

Die Zeichnungen sind meiner Serie "etymdrawings" zuzuordnen, die in ihrem Entstehungsprozess und auch auf der Wahrnehmungsebene etwas schwer Definierbares vielleicht sogar rhizomatisches beinhalten.




Essay zur Ausstellung  PRIVATE VIEWING 12  

Maria Bussmann

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Foto © Vasja Nagy-Hofbauer

Pilze überall - Eric Moinat und Toni Kleinlercher - in Private Viewing 12

Beide Präsentationen haben einen kleinsten gemeinsamen Nenner: Pilze Aber der größte gemeinsame Teiler hieße Kunst. Zwei unterschiedliche Herangehensweisen, die sich komplementär ergänzen. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls werden sie hier im 12. und vorläufig letzten „private viewing“ in dieser Form einander gegenüber gestellt. Toni Kleinlercher begegnet manchen hier also wohl schon zum zwölften Mal, mir ist er am vergangenen Montag zum ersten Mal begegnet. Am Montag habe ich beide Herrn besucht.

Von Toni habe ich erfahren, dass es ihm bei seiner Kunst - stark vereinfacht gesagt, auf zwei Dinge ankäme und immer schon angekommen sei: Auf die Natur, beziehungsweise auf einen Bezug zur Natur und auf die Übertragung von Literatur in bildende Kunst. So sind etwa die drei Blätter, die Verschlingungen, unter dem Lesen und unter Vermeidung einer persönlichen Handschrift mittels gesteuerter Fernbewegung des Pinsels entstanden.

Eric berichtetet mir von Gemüse, das seinen künstlerischen Weg begleitet habe. Insbesondere Gurken, Zucchini und Pilze. Eine Doppel-Rübe, die getrennt werden musste, wurde zum Sinnbild einer anderen privaten Trennung. Nichts ist so wie es vordergründig scheint. Pilze werden zu Raketen, sind vorprogrammierte Blindgänger, eine Dauerproduktion von Kugeln sorgt für den Inhalt von Splitterbomben. Alles mit Pappmache ummantelt, nach original französischer Geheim-Rezeptur.

Lieblingsfarbe beider: Graugrün-Braun- Rötlich, Naturfarben Mein Lieblingsobjekt: bei Eric: Der Pilz im Glas. Dieser Pilz ehrt den „Pilz des Jahres“, welcher die Stinkende Morchel war, in vollendet- phallischer Form, er ist mit oder ohne Glas erhältlich. Mein Lieblings Pilz bei Toni: der auf der Leiter, der sich wie ein Kuhfladen bereitgemacht hat, und der Wand ihre Farbe gegeben zu haben scheint. Ein Malermeister von Pilz.

Zwei Positionen feil gehalten, im Marktstand und bereitgestellt als Studien- SchauSammlung vor einer historistischen Welt-Wandkarte. Es ist natürlich nicht ganz fair sich nur auf die Pilze zu beziehen, aber Sie werden sehen, dass ich eine Absicht damit verfolge. Pilze: Altompilze, Nagelpilze, Speisepilze, Fußpilze, Glückspilze… Was genau ist ein Pilz? Dazu könnten wir Tonis Andeutungen auf dem Setzkasten folgen. (Es gibt geschätzte 5 Mio Arten, 100.000 davon identifiziert, Pilze stellen allerlei Rekorde auf, einer davon: ein Pilz ist der größte lebende Organismus, und damit das größtes Lebewesen auf unserer Erde). Ich möchte aber fragen: Was tun Pilze? Sie wachsen. Pilze, lat. Fungi wirken als Zersetzer toten organischen Materials (Destruenten), ernähren sich als Parasiten von anderen Lebewesen, oder sie leben in einer wechselseitigen Symbiose mit Pflanzen oder mit Flechten. Sie wachsen, manchmal über Nacht, sie wandern ein, sie wuchern, schleichen sich ein. Penicillin rettet Leben, ein anderer Schimmelpilz verleibt sich unsere mühsam hergestellten Marmeladen ein. Pilze befallen etwas oder jemanden.. Ich nütze diese Qualität und erlaube mir, für jeden der beiden Künstler eine paar Sporen in die Betrachtung über ihre künstlerischen Arbeiten einzuschleusen, um die Materie langsam aber sicher zu bearbeiten, zu unterwandern, so wie die Hefe das Mehl aufquellen lässt. Ich schleuse also den beiden Künstlern je ein Text-Zitat ein.

Der Text für Toni heißt : What We Can Never Know, und ist der Buchtitel von Computer Scientist und Philosophen David Gamez, (London & New York: Bloomsbury Publishers, 2007), pp. 217-20. Der Satz „What we can never know“ steht gewissermaßen im Kontrast zum Bestreben von Toni Kleinlercher, der es wissen möchte ,oder, der es ganz einfach weiß. Wenn man ihm zuhört, merkt man, dass er alles bis ins kleinste Detail recherchiert hat, dass die Zusammenhänge, die wissenschaftlichen Fakten stimmen und dass die Ästhetik, die sich wie ein Netz um seine Artefakte spannt, von feinen Fäden der wissenschaftlichen Recherche gehalten wird. Ein Kosmos von Namen, Fakten, Bezeichnungen, Texten steht hinter den Anordnungen. David Gomez ist ein Senior Lecturer in London, sein Fach ist Computer Science. Sein Buch bearbeitet die „Blindspots“ in Philosophy und Science. Tatsächlich scheint sein Text im Internet auf, wenn man „Wittgenstein und Pilze“ eingibt. Im fünften und letzten Kapitel dieses Buches mit dem Titel „What we can never know“ findet sich denn auch tatsächlich ein Zitat, das von Wittgenstein stammt. Es ist aus den „Philosophischen Untersuchungen“.

Das Kapitel trägt die Überschrift Ontologien. (Mein Unter-Zitat für Toni): One kind of aspect might be called ‘aspects of organization’. When the aspect changes parts of the picture go together which before did not. Frei übersetzt: Eine Art von Aspekt könnte als „Aspekte der Organisation“ bezeichnet werden. Wenn sich dieser Aspekt ändert, passen Teile des Bildes zusammen, die das vorher nicht getan haben. So organisiert sich auch Toni immer wieder um, indem er sich einer zweiten Position in seinem Atelier aussetzt. David Games kommt dann auf der selben Seite auf die nicht- sichtbaren, weil unterirdischen Teile eines Pilzes zu sprechen, die jedoch einen viel größeren Raum einnehmen als die Sichtbaren. (Die Philosophischen Untersuchungen - posthum 1953 erschienen - sind neben dem Tractatus logico- philosophicus Ludwig Wittgensteins Hauptwerk)

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Zweiter Versuch der Zersetzung und nun für Eric: er ist Titel und Teil von einem Liedtext. Das Lied heisst „Bewitched, Bothered and bewildered“ gesungen von Ella Fitzgerald, ein großartiger Song von einer großartigen Interpretin. Sie singt es zu einem Mann, es könnte aber der Pilz gemeint sein, jener „favorite“ von unserem „private Viewing“ Ich zitiere:

I’ll sing to him, each spring to him,
bewitched, bothered and bewildered I am
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„Verzaubert, belästig und verwirrt“ sagt die Übersetzung. (bothered: belästigt oder jedenfalls irritiert) Das könnte durchaus auch als Reaktion auf Erics Pilze gemünzt sein. Erics Gemüse sind Hexenzeug, sein Marktstand ist eine Falle. Man soll sich in diese handschmeichelnden Objekte, nein Fetische, verlieben. Eine Magie der Verwandtschaft zwischen Objekt und dem wirklichen Lebewesen zieht die potentiellen Käufer in einen unwiderstehlichen Bann. (Aufnahme mit Ella Fitzgerald stammt von 1956.)

Zurück zu Wittgenstein, diesmal zum Tractatus: Wittgenstein sagt auch, dass Ethik und Ästhetik Eins sind. Dazu könnte vieles gesagt werden, Erstaunlich ist jedenfalls, dass Wittgenstein die Ästhetik, der Dimension des Ethischen gegenüberstellt. Das richtige - ethische- Leben ist die Grundfrage der Philosophie. Für einen Künstler ist das Leben eben auch eine Frage der Ästhetik. Wittensteins vermeintliche Systematik der in Dezimalen unterteilten Sätzen des Traktatus, endet im letzten Satz, in mystischem Schweigen. Die vermeintliche Ordnung ist ein Vorwand für das Unerklärbare. Toni und Wittgenstein: Wirkt die Hefe?

Pilzwechsel: Ella Fitzgerald und Eric.

Horizontally speaking
he is at his very best,
vexed again, perplexed again,
thank God, I can be oversexed again
bewitched bothered and bewildered am I

Über den Text-Dichter Lorenz Hart erfahren wir folgendes: Er hatte ein erstaunliches Talent für innere Rhythmen, seine Verse wurden gepriesen für ihren hintergründigen Witz und ihre technische Raffinesse. Lorenz Hart arbeitete zusammen mit Richard Rodgers, den man eher in Kombination mit Hammerstein, (Cinderella, South Pacific oder Sound of Music (Trapp Familie), kennt. Rodgers hatte aber 20 Jahre zuvor mit Lorenz Hart gearbeitet und bereits über 20 Musicals geschrieben. Beide, Kinder jüdisch -deutsch -ost-europäischer Immigranten, wurden um die Jahrhundertwende in NY geboren, mütterlicherseits war Hart ein Großneffe von Heinrich Heine. Hart starb, noch nicht 50- jährig an einer Lungenentzündung, aber in Wahrheit an den Folgen seiner Alkoholkrankheit. Ein Genie der Sprache. Das Lied „Bewitched, bothered and bewildered“ ist von betörender Schönheit.

Ich überlasse nun die Wirkung der eingestreuten Zitate Ihnen für eine neuerliche Betrachtung der Ausstellung, zu der ich sehr herzlich einlade. Eine Quintessenz, oder ein General-Rezept kann es nicht geben, das ist auch bei PilzGerichte zu beachten. Die Mischung ist sowohl reizvoll, als auch manchmal gefährlich. Vor allem aber nie belanglos. Bei Pilzen muss man sehr genau hinzuschauen. Und: Es gibt mehrere köstliche Rezepte. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.



www.toni-kleinlercher.com